von: Anette Altendorf
Träume werden Wirklichkeit:
Auf der ersten Weltfrauenkonferenz in Caracas/Venezuela beschlossen wir Aktivis-tinnen der Basisbewegungen enger zusammen zu arbeiten und uns in 5 Jahren wie-der zu sehen. Das die Entscheidung, diese 2. Weltkonferenz im März 2016 in Nepal durchzuführen, Realität wurde, ist den kämpferischen nepalischen Frauen, den Ko-ordinatorinnen der Länder und Kontinente sowie hunderten nepalischen und vielen internationalen Brigadist*innen zu verdanken: Sie findet trotz der mörderischen Erdbeben in Nepal im April und Mai 2015 und der Handelsblockade Indiens nach Verabschiedung der sekulären Verfassung Nepals im September 2015 statt.
Ich habe tatsächlich das Glück, das zweite Mal als Teilnehmerin (nicht Delegierte) an der Konferenz teilzunehmen und kann Nepal und damit erstmals auch Asien kennenlernen! Wir landen nach zwei Flügen und ca. 16 Stunden am Samstagmittag zwischen Hügelketten in Kathmandu: die Stadtränder breiteten sich mit ihren mehrgeschossigen Stahlbetonbauten, breiten Straßenachsen im diesigen Sonnenlicht wie hingewürfelt aus. Der Fahrer unseres Hotels fährt uns durch eine sonntäglich ruhige Metropole. Erst im touristischen Altstadt-Quartier Thamel werden die von Ziegelbauten gesäumten Gassen immer bunter und enger: Lädchen, Menschen, Autos, Motorräder, Rikschas und ein haarsträubendes aneinander-Vorbeigedränge im aufwirbelnden Staub bei Dauerhupen. Das Hotel ist die Oase in zweiter Baureihe mit grünem Hof. Es gibt die Wahl zwischen „Luxery-Rooms“ mit Dauerstrom oder den günstigeren mit Notlicht während der festgelegten „Power Cut Offs“ – ca. 12 Stunden am Tag gibt es keinen Strom. Nach einem Spaziergang durch Thamel, in dem wir im Straßengewimmel in der Dämmerung die Orientierung verlieren, feilschen wir erstmals mit Rikschafahrern um die Fahrtkosten zur Heimkehr.
Kathmandu
Nepal
Sonntag, 13.März – Eröffnungsdemonstration und Auftaktveranstaltung
Wir schließen uns am Sonntagmorgen, dem Beginn der Konferenz, den erfahrenen niederländischen Delegierten an, die uns den Weg durch die Altstadtgässchen und entlang der smoggetränkten Hauptstraßen zum Park führen, an dem die Eröffnungsdemonstration starten wird. Was für eine Freude, hunderte Frauen aus Nepal und vielen anderen Ländern – sowie einige Männer und auch bekannte Gesichter- vor zu finden! Es geht ziemlich pünktlich ohne Auf-taktreden los: die nepalischen Frauen sind selbstbewust, bunt gekleidet und super organisiert: sie gehen eng hinter-einander beidseitig des bunte Demozugs. Er zieht lautstrak mit Parolen, Liedern und Tanz durch Hauptstraßen und Bazargassen des staubig-heißen Kathmandu und endet auf dem schönen Konferenzgelände der „Akademy Hall“: Hier gibt’s Bäume mit Schatten, Trinkwasser, durchgängig Stände mit Essen, Trinken, Fairhandels-Produkten und Infos.
Alle strömen in den großen Saal, in dem die Eröffnungsveranstaltung beginnt: die Koordina-torinnen der Länder und Kontinente und die Vertreterinnen der UWA, des so erfolgreichen Zusammenschlusses der Frauen acht nepalischer Parteien nehmen auf der Bühne Platz. Die erste nepalische Parlamentssprecherin Onsari Gharti Magar eröffnet mit dem Entzünden einer Flamme die Konferenz. In ihrer und der folgenden Ansprachen der Koordinatorinnen wird über die Lage der Frauen auf der Welt, ihren Widerstand sowie die Geschichte der Weltfrauenkon-ferenz berichtet und der Wunsch geäußert, dass es uns gelingt, die Kämpfe der Frauen gegen die weltweite neoliberale Unterdrückung der Bevölkerung zu vereinigen und „die höchsten Gipfel der Welt zu erklimmen“. Wir sind begeistert über die Meldung, dass nach der gestrigen spontanen Protestdemonstration heute die von den nepalischen Grenzbehörden zurückge-
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schickte afghanische Delegierte einreisen wird! Auch die Einreise syrischer Delegierter aus Rojava konnte erreicht werden. Beim sich anschließenden Kulturprogramm feiern viele Frauen auf der Bühne mit! Wir verabschieden uns früher, um in der Dämmerung noch den Weg nach Hause zu finden: morgen beginnt die Arbeit!
Internationaler Austausch in 10 Workshops
In den folgenden zwei Tagen tauschen sich ca. 1000 Teilnehmerinnen und Delegierte in 10 Workshops zu Themen aus, die Frauen international betreffen: Lage der Frauenbewegung und der Kampf um die Befreiung der Frau, Frauenunterdrückung durch Kapitalismus und Imperialismus, die Rolle der Frauen in Befreiungskämpfen, Frauen in der Arbeiter*innen- und Umweltbewegung, die Kämpfe junger Frauen und der Landfrauen sowie der Kampf gegen sexueller Gewalt an Frauen in Kriegen und auf der Flucht.
Workshop „ Frauen kämpfen um Mutter Erde, Frauen und die Umweltbewegung“
Mit circa 50 Frauen aus 8 Ländern/3 Kontinenten nehme ich an diesem Work- shop teil. Die Aktivistinnen Azra Sayeed/Pakistan, Heldan/ Indonesien und Mirjam Gärtner/BRD stellen in ihrer Einführung klar: das ökologische Gleichge- wicht unseres Planeten ist durch die weltweite massive Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft in Zerstörung. Die Industrieländer mit 1/3 der Welt- bevölkerung verbrauchen 2/3 der Weltressourcen. Der Klimawandel als Folge des Raubbaus an der Natur mit Orkanen, Dürren, Überschwemmungen trifft aber besonders die Bevölkerung der armen Länder. Noch ist es nicht zu spät, Regierungen und Konzerne zur Umkehr zu bewegen!
Azra berichtet von dem Kampf ihrer Bäuer*innen-Organisation (Roots for Equity) für Landrechte und für Nahrungs-mittel-Souveränität. Die durch die Welthandelsorganisation (WTO) durchgesetzte Markt-Deregulierung und Privati-sierung zerstört die Landwirtschaft Pakistans.
Heldans Bewegung (?) kämpft gegen die Verbrennung der Torfwälder Indonesiens und die Anpflanzung von Palmöl-plantagen. Die Regierung verkauft das Land der Bäuer*innen an internationale Konzerne, die für Industrieländer Biodiesel und Papier produzieren. Von dem „Haze“ genannten extrem giftige Smog sind ca. 43 Mio. Menschen be-troffen, Hunderttausende sind krank – Kinder, Schwangere und Ältere sterben immer wieder! Es wird beschlossen, eine öffentliche Resolution zu verfassen zum sofortigen Stopp der Brandrodungen und Rückgabe des Landes, kos-tenlose Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und Entschädigung der Opfer durch die Konzerne.
Awa Meité aus Mali zeigt anschaulich an mitgebrachten Produkten den Ansatz ihres Textil-Produzentinnen Projektes (siehe www.daoulaba.org): sie bauen Baumwolle für ihren Bedarf an und recyclen Materialen zu qualitätsvoller Kleidung, Taschen, Schmuck und Möbel. Sie bestehen auf eine eigene wirtschaftliche Entwicklung Malis und seiner Frauen – unabhängig vom neoliberalen Weltmarktdiktat (WTO-Freihandelsabkommen).
Durga Paudel/Asienkoordinatorin und UWA-Mitglied aus Nepal berichtet von den Erfolgen der Revolution: Die Rodung der Bäume für Profit wurde beendet. Der Kalksteinabbau, überwiegend für den Export nach Indien, ist jetzt nur noch für Nepal zulässig. Er schädigt die Gesundheit der lokalen Bevölkerung und zerstört die Natur (Wassermangel, Luftverschmutzung, Erdrutsche, Überschwemmungen). Die Revo-lution müsse noch besser organisiert werden, dafür ist viel persönlicher Einsatz der Menschen nötig, die fragen, wer denn die Familie versorgt, wenn sie politisch aktiv sind. Der internationale Austausch ist für den weiteren Erfolg sehr wichtig!
Mirjam klärt darüber auf, dass die Darstellung der Regierung, Deutschland hätte hohe Umweltstandards, falsch ist: die Verschmutzung der Umwelt ist um 60 % gestiegen! Es sind radikale Veränderungen nötig, deshalb haben sie die www.umweltgewerkschaft.de gegründet. Sie verbindet den Kampf um gute Arbeitsbedingungen und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Der VW Konzern manipulierte die Abgaswerte der Autos, statt beispielsweise die Produktion von Elektroautos voranzutreiben und entließ wegen der Strafzahlungen 10.000 Arbeiter*innen! Die BRD 2
hat, wie viele Industriestaaten, massive Umweltprobleme: Die Einlagerung von Giftmüll unter Tage wurde von der Regierung verheimlicht, „Fracking“ zur Gasgewinnung bedroht jetzt zusätzlich Boden und Grundwasser.
Die Teilnehmerinnen berichten zwischen und nach diesen spannenden Beiträgen aus ihren Ländern über die Auswir-kungen der Zerstörung der Lebensgrundlagen auf das Leben von Frauen und ihre Kämpfe dagegen. Aus den nepal-ischen Beiträgen wird deutlich, dass sie den Ausbau der Industrie für notwendig ansehen und somit vor dem Ba-lanceakt stehen, diese umweltverträglich umzusetzen. Wir beschließen, dank der Moderation Mirjams, ein Work-shop-Bericht für das Abschlussplenum im Konsens. Neben der Resolution gegen den „Haze“ in Indonesien sind un-sere Ziele, die kapitalistische Produktionsweise radikal zu ändern, die Umwelterziehung an Schulen zu intensivieren, u. a. Atomkraft und Fracking zu beenden und zur engen Zusammenarbeit von Frauen- und Umweltbewegung eine Plattform im Rahmen der Weltfrauenkonferenz zu gründen.
Die Generalversammlung und das geheimnisvolle Zentrum Kathmandus
Die nächsten zwei Tage verfolgen wir Teilnehmerinnen – nach Übersetzungsspra-chen in Räumen getrennt – die Versammlung der über 70 Delegierten aus 40 Län-dern. Spannend sind die Kontinentalberichte aus Asien, dem Nahen und Mittleren Osten, Nordafrika, Lateinamerika und Europa. Kurzfassungen dieser Berichte und das Resumee finden sich in dem von den Koordinatorinnen der Delegiertenver-sammlung vorgelegten Entwurf einer Abschlussresolution.
Der Folgetag beginnt mit Redebeiträgen junger Frauen der WWC: Ein junge Überlebende der Massaker und Ver-treibungen der jesidischen Bevölkerung im Shingalgebirge/ Irak durch den IS/Daisch berichtet von 5000 ermordeten Menschen. Von den 7000 versklavten Frauen und Kindern sind fast 2 Jahr danach noch 3500 in ihrer Gewalt. Viele Frauen haben Selbstmord verübt.
Eine junge Nepalin spricht von ihrem Privileg, hier teilzunehmen: Nepal hat einen hohen Anteil junger Menschen, aber viele müssen das Land aufgrund zu weniger Verdienstmöglichkeiten verlassen. Mädchen sind aufgrund pat-
riachaler, feudaler und kapitalistischer Strukturen stark diskriminiert u. a. durch die Tradition des Brautpreises, der Polygamie, häuslicher und öffentlicher Gewalt – 700.000 Frauen sind Opfer des Sexhandels. Sie sind besonders von Bildungsmangel und Arbeitslosigkeit betroffen. Aber gerade junge Frauen lehnen sich auf und kämpfen für die Über-windung dieser Strukturen. Die jungen Frauen haben als Ergebnis ihres Workshops u.a. beschlossen, ihre Forderun-gen zum 8. März international abzustimmen und sich alle 3 Monate auszutauschen!
Die Delegierten stimmen im Anschluss ohne grundlegende Differenzen über 30 Änderungs- bzw. Ergänzungsanträge zu der Abschlussresolution ab, die dann unter Applaus der Delegierten und Teilnehmer*innen angenommen wird. (http://conferenciamundialdemujeres.org/resolution-HYPERLINK “http://conferenciamundialdemujeres.org/resolution-von-kathmandu/#more-9634″von-kathmandu/#more-9634)
Wir beschließen – statt des tollen abendlichen Kulturprogramms – unsere letzte
Chance vor dem Start unserer Wandertour zu nutzen, um das berühmte Zen-
trum Kathmandus, den „Durbar Square“ (Welterbestätte) endlich kennen zu
lernen. Als wir aus der quirligen, faszinierenden Bazargasse kommend den Platz
erreichen, sehen wir hunderte Jahre alte Palastbauten und Tempel der Newar-
baukunst, die ein traumhaftes Ensemble bilden – trotz der sichtbaren Zerstör-
ungen. Dank eines Guides genießen wir diesen Blick bei Dämmerung von einem
„Top-Roof“- Restaurant bei vorzüglichen Dhal Bhat.
Letzter Konferenztag – Abschlussplenum
Der große Saal ist wieder voll – dank weiterer Kopfhörer – können alle Teilnehmer*innen und Delegierte gemeinsam den spannenden Berichten aus den 10 Haupt-Workshops sowie 3 kleineren Workshops zu Zwangsprostitution/ SOLWODI, Matriachaten, und Solarkochen folgen.
In den kommenden zwei Stunden stimmen wir alle über mehr als 20 Resolutionsanträge aus den Workshops und von den Länderdeligierten ab: Es wird beschlossen, die Konferenz noch breiter aufzustellen, Vertreterinnen aus den Län-dern zu finden, die bisher nicht bzw. wenig vertreten sind, wie u. a. arabische Länder. Viele Anträge kommen von Aktivistinnen, die Menschenrechtsverletzungen der eigenen Regierung anprangern oder sie zum handeln auffor-dern, darunter einige aus Indien sowie einzelne aus Bangladesh, Haiti, Philipinen, Ägypten, Türkei/ Kurdistan, Nepal).
Begeistert wird von dem Treffen von 50 Vertreterinnen mit der ersten nepalischen Präsidentin Bidhaya Devi Bhandari berichtet, die eingeladen hatte und sich sehr verbunden mit dem Kampf der Frauen weltweit zeigte.
Das Finale beginnt mit dem Dank an alle Ehrenamtlichen, die unter viel Applaus auf die Bühne gebetenen werden. Für den Wiederaufbau einer Schule nach den Erdbe-ben werden Spenden übergeben und Monika Engel-Gärtner verabschiedet sich von ihrer langjährigen Arbeit als Europa-Koordinatorin. Sie appelliert an alle national aktiven Frauen, auch in der Weltfrauenbewegung Verantwortung zu übernehmen, damit wir unserem Ziel einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung näher kommen! Mit dem fröhlichen Bild der feiernden Menschen verabschieden wir uns voneinander: Bis zum Wiedersehen 2021 auf einem anderen Kontinent haben wir viel Arbeit vor uns, aber dieses Treffen hat uns gestärkt und vorangebracht!
In den Bergen Okharkots – wandern und sich begegnen
Als eine von zwei Trecking Gruppen starten wir 6 deutsche Teilnehmerinnen der WWC eine unvergessliche Tour: diese Reise über eine Woche mit Wanderungen von Dorf zu Dorf mit Übernachtung bei Familien wird in Kooperation mit einem deutschen Reisebüro erstmals angeboten. Unser junger studentischer Guide ist hier aufgewachsen und Mitglied des Tourismus-Komitees. Mit dem Gepäck auf dem Dach unseres Jeeps verlassen wir morgens Kathmandu. Der Weg ist weit und anstrengend über staubige, volle und in den Bergen kurvige und holperige Wege: Aber auch die Fahrt mit Stopps für „Lunch“ und Kaffepause ist ein Erlebnis. Auf dem Hinweg übernachten wir in Sauraha am Chit-wan Nationalpark und erleben einen unvergesslichen Ritt auf Elefanten durch den morgendlich ruhigen Fluss und Wald.
In der Abenddämmerung erreichen wir, dem Jhimruk Fluss folgend, unser erstes Ziel in den Bergen Okharkots: In Machchi werden wir herzlich von unseren Gastfamilien und anderen Bewohner*-innen mit Blumenketten und dem Segenszeichen des Tika empfangen. Das wird auch so in Chauke, Okharkot und Payupata so sein: Die Menschen freuen sich sehr über unser Kommen, unsere Guide ist der perfekte Vermittler zwischen uns, wenn mal keine/r English spricht. Wir kommen leicht ins Gespräch, besonders mit den Kindern, da sie früh Englisch lernen.
Auf den wunderschönen Wanderungen bei sonnig-heißem Wetter zum Gipfel des Berges Okharkot in der Morgen-dämmerung und zu Gaumukhi, den heiligen Quellen des Jhimruk Flusses mit Höhlenbesuch und Flussbad laufen wir über Hängebrücken und kommen durch arme, aber beeindruckend ursprüngliche Dörfer. Wir erleben, wie die Frauen ihre farbenträchtige traditionelle Kleidung und Taschen weben, können einem Schmied zuschauen und fragen uns gegenseitig über unser Leben und unsere Wünsche aus. Für uns werden Dorffeste veranstaltet mit Musik und Tanz und wir singen unsere Lieder der Frauenkonferenz! Als wir uns wieder mit Blumen- und Tika geschmückt verabschieden und im Jeep die lange Rückfahrt antreten, verkürzen wir uns diese mit dem romantisch-melancho-lischen Gedicht unseres Guides über seine schöne Heimat Okharkot und träumen davon wieder zu kommen.
Kontakt: www.People-to-people.de und www.okharkottourism.org.np
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