Auruf zur Solidarität mit den Protesten im Iran
Seit einer Woche finden im Iran landesweit Demonstrationen und Proteste statt, die beständig wachsen. Während die Demonstrationen zur Zeit der Grünen Bewegung 2009 auf die Hauptstadt Teheran beschränkt blieben und
hauptsächlich von Menschen aus der Mittelschicht getragen wurden, finden die jetzigen Proteste in sehr vielen Städten statt – u.a. auch in den vorwiegend kurdischen, arabischen und türkischen Provinzen – und richten sich insbesondere gegen die prekären Lebensbedingungen, hohen Lebensmittelpreise und korrupten politischen, religiösen und wirtschaftlichen Machteliten sowie das diktatorische System als Ganzes. Und anders als in der Grünen Bewegung, in der die Demonstrant*innen unter dem politischen Einfluss offizieller reformistischer
Parteien standen, folgen die aktuellen Proteste keinen bestimmten politischen Richtungen.
In den letzten 25 Jahren hat der neoliberale Umbau im Iran dazu geführt, dass die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft unter äußerst prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen leidet und sich extreme Armut enorm ausgebreitet hat. Der aktuelle Präsident Rohani ist dabei ein neoliberaler Hardliner; er fordert offen die Abschaffung von Arbeitsrechten wie z.B. den Kündigungsschutz oder Mindestlohn und betreibt eine ausschließlich an Kapitalinteressen orientierte Wirtschaftspolitik. Ein Großteil der davon profitierenden Unternehmen befindet sich unter Kontrolle der Revolutionsgarden oder des religiösen Staatsoberhauptes Ali Khamenei.
Auch hat Rohani, wie seine Vorgänger, bisher jeden Versuch des Widerstandes mit äußerster Härte unterdrückt und alle Forderungen politischer Akteure wie der Frauenbewegung, Arbeiter*innen oder ethnischen Minderheiten
ignoriert und bekämpft. Das von westlichen Regierungen und Medien (und auch einigen Linksliberalen) häufig verbreitete
Bild, die iranische Regierung unter Rohani sei fortschrittlich und die Situation im Iran habe sich dadurch verbessert, ist nicht nur angesichts der wachsenden Armut, den prekären Lebensbedingungen und der Kontinuität der staatlichen Unterdrückung absurd, sondern auch vor dem Hintergrund, dass Rohani über 25 Jahre lang Chef des nationalen Sicherheitsrates war und somit ein Experte der Unterdrückung ist. Nur mit so einem Hintergrund
ist es möglich, öffentlich vor internationalen Medien zu behaupten, es gäbe keine politischen Gefangenen im Iran – wie von Rohani mehrfach erklärt – während die Gefängnisse voll sind mit Aktivist*innen der Arbeiterbewegung, Frauenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen, kurdischen Aktivist*innen oder Aktivist*innen anderer ethnischer oder religiöser Minderheiten etc., von denen einige im Gefängnis aufgrund der prekären Haftbedingungen gestorben sind oder zum Tode verurteilt wurden. Seit dem Amtsantritt von Rohani 2013 wurden bereits mehr als 2000 Menschen hingerichtet, alleine 2017 sind es mehr als 440. Der aktuelle Justizminister Alireza Avaie war maßgeblich beteiligt an dem Massaker von 1988 an über 10.000 politischen Gefangenen. Ein aktuelles Beispiel der staatlichen Repression ist Reza Shahabi, der nur wegen seiner Arbeitsrechtsaktivitäten in der verbotenen Teheraner Busfahrergewerkschaft seit Jahren inhaftiert ist und infolge dessen unter schweren gesundheitlichen Problemen leidet. Ebenso die zahlreichen Hinrichtungen kurdischer Aktivist*innen in den letzten Monaten und Jahren.
Das einzige, was Rohani im Gegensatz zu seinen Vorgängern anders gemacht hat, ist, die diplomatischen Beziehungen zu westlichen Regierungen zu verbessern (was sich v.a. im Abschluss des Atomabkommen ausgedrückt hat) und dadurch die Grundlage für eine Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen zu schaffen. Dies ist auch der Grund, warum westliche Regierungen – und darunter insbesonders die deutsche Regierung – sowie offizielle Medien das Bild des Reformisten Rohani gerne verbreiten und sich nun nur zögerlich positionieren. Die Bundesregierung hat ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Iran nach der Verabschiedung des Atomabkommens weiter intensiviert und zahlreiche Veträge der wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen, wie z.B. im Baubereich, Infrastruktur, Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Wissenschaft etc. Gleichzeitig benutzt Rohani die äußeren Konflikte mit Staaten wie den USA, Saudi-Arabien und Israel, wie alle anderen iranischen Machthaber auch, um die Intervention in Syrien und Jemen und die massiven Militärausgaben (bei gleichzeitiger Austeritätspolitik) zu rechtfertigen und die wachsenden gesellschaftlichen Widersprüche durch eine Politik der nationalen Versöhnung zu kaschieren.
Umso bedeutender sind die nun aufkeimenden Proteste. Die Slogans richten sich auf den Demonstrationen nicht nur gegen die prekäre wirtschaftliche Lage, sondern in ihnen drückt sich die gesammelte Unzufriedenheit der Bevölkerung gegen das gesamte System aus. So fordern die Demonstrant*innen neben „Brot, Arbeit und Freiheit“, ganz ausdrücklich „Nieder mit Khameni und den Mullahs“, „Nieder mit Rohani” und “Nieder mit der Diktatur“. Bedeutend ist auch die große Beteiligung von Frauen an den Protesten, die ihre Kritik an der neoliberalen Wirtschaftspolitik und staatlichen Korruption mit einer Kritik der patriarchalen Unterdrückung verbinden. In den letzten Tagen ist die iranische Regierung mit aller Härte gegen die Demonstrant*innen vorgegangen – offiziell ist von über 22 Toten die Rede. Auf den Straßen ist die Polizeipräsenz massiv erhöht worden.
Die Zukunft der aktuellen Proteste im Iran hängt auch davon ab, ob die iranische Regierung in der Lage ist, sie brutal niederzuschlagen. Ob sie dies tut, ist wiederum abhängig davon, wie viel Druck sie von „außen“ bekommt. Die deutsche Regierung spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie unterhält enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zum Iran und unterstützt die Unterdrückung von oppositionellen Bewegungen durch den Export von Rüstungsgütern und Sicherheits- und Überwachungstechnologien sowie Ausspionierung von iranischen Exillinken innerhalb der BRD – wie zuletzt 2009, bei der Zerschlagung der grünen Bewegung. Medial wird dies von einer Berichterstattung flankiert, die kaum unabhängige Quellen mit einbezieht. Umso wichtiger ist es, unsere Solidarität mit den Protesten auch hier breit auf die Straßen zu tragen und eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Die Durchsetzung der neoliberalen Logik, die im Iran zu den prekären Lebensbedingungen beigetragen hat, ist dieselbe, die auch hierzulande immer mehr Menschen in schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen bringt und überall auf der Welt zu immer mehr Ausbeutung und Zerstörung führt. Deshalb endet unsere Perspektive nicht mit der Abschaffung der Diktatur im Iran, sondern richtet sich gegen die kapitalistische Ausbeutung an sich und staatliche, patriarchale und rassistische Unterdrückung weltweit.
Wir rufen deshalb zu breiten Solidaritätsaktionen auf!
AK Internationalismus
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