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IMG_4657Einleitung

 

In der Kunst ist neben dem ästhetischen der soziale Gestaltungsprozess eine wesentliche Komponente des Schaffens. Kunst ist Kommunikation und kann dadurch auch eine politische Beziehung des Künstlers mit der Gesellschaft mit einschließen. Diese Form der Auseinandersetzung bildet einen wesentlichen Bestandteil der vorliegenden Arbeit. Die Bilder sind im Zuge des Aufarbeitungsprozesses einschneidender Erlebnisse in der Biografie des Autors während der iranischen Revolution entstanden. Auf den Bildern sind verschiedene Stationen des Erfahrenen wiedergegeben. Die Zeit im Gefängnis, die Ermordung von Mitstreitern, Freunden und Bekannten sind zentrale Elemente, die das Schaffen des Autors während der letzten Jahre begleitet und im Rahmen dieser Arbeit erstmals eine klare Transformation durchgemacht haben. Über viele Jahre war die Emotion, die über die dargestellten Körper transportiert wurde, das zentrale Element des Schaffens des Künstlers. In dieser Arbeit werden diese „Emotionsbilder“ nur noch in Umrissen dargestellt. Die Bilder dieser Serie gehen über die Ebene einer Verarbeitung des persönlich Erlebten hinaus und setzen einen Grundstein zur Ausbildung einer neuen Erinnerungskultur. In den Bildern sind drei verschiedene klar voneinander abgegrenzte Ebenen sichtbar. Der Hintergrund der Bilder konstituiert sich aus den in persischen Schriftzeichen dargestellten Namen der 15.459 bekannten Opfer politischer Verfolgung im Iran der 1980er Jahre, die dieser Arbeit auch den Titel gegeben hat. Die Namen werden auf der zweiten Ebene von den Figuren überlagert, die in eine Verkörperung der persönlichen Erfahrungen und Emotionen des Autors wiederspiegeln Die Kinderzeichnungen in der dritten Ebene sind Symbole des Auf- und Ausbruchs. Sie verweisen zwar auf der einen Seite darauf, dass in vielen Familien eine Generation fehlt, aber in erster Linie sind sie Symbole der Transformation und des Weiterlebens. Als Träger der Hoffnung heben sie sich durch ihre kräftigen Farben klar vom Hintergrund ab und bilden den Ausgangspunkt um in die weiteren Schichten der Bilder einzudringen.

 

  1. Kunst und Gedächtnis

 

Kunst ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem sozialen und kulturellen Gedächtnis[i], und geht damit über die deskriptive klassische Historiographie hinaus. Über die Emotion, die eng mit dem sozialen Gedächtnis verbunden ist, werden zentrale Inhalte transportiert, die gleichzeitig in ein Feld eingebettet sind, das durch  die Historiographie, mit der Sammlung der 15.459 Namen der Ermordeten als Teil des kollektiven Gedächtnisses das Kunstwerk entscheidend mit prägt. Über das individuelle Gedächtnis des Künstlers entsteht die Brücke zum kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft. Jeder von uns lebt als Teil der Gesellschaft und ist den ständigen Prägungen des „Wir“ ausgesetzt. Die Ermordung von weit mehr als 15.000  jungen Menschen im Iran, die Auslöschung einer Generation voller Hoffnungen, voller Ideen und voll politischen Engagements bilden den Ausgangspunkt der künstlerischen Auseinandersetzung mit Gedächtnis und Gedenken. 15.459 Menschen die im Iran in den 80er Jahren als politische Gegner ermordet wurden sind namentlich bekannt. Sie geben der Trilogie dieser Arbeit den Titel, auch wenn es vermutlich wesentlich mehr Ermordete gibt, die namentlich nie erfasst wurden, oder die in späteren Jahren an den Folgen von Folter und psychischem Druck gestorben sind.

Die Grundlagen der eigenen Identität beziehen wir immer aus dem „Wir“, das sich ebenfalls aus vielen heterogenen Schichten zusammensetzt. Bereits vor der Geburt werden wir als Fötus im Bauch ein Teil des Kollektivs, da es unmittelbaren Einfluss auf die Lebenswelt der Mütter und Väter hat.

Neben den „Wir“ Gruppen in die der Mensch hineingeboren wird, gibt es „Wir“ Gruppen für die er sich entscheidet, „Wir“ Gruppen bei denen er für unterschiedliche Dauer verweilt, aber die Prägungen aus jeder Gruppe werden mitgetragen und vermischen sich mit den neuen Lebensumständen und Gruppen in die er/sie eintritt. Emotionen verstärken bei den Erfahrungen die Aufmerksamkeit, deshalb wirken sich Erfahrungen der Verfolgung, der Terrors, des Verlusts, der Trauer massiv auf unsere Lebenswelten aus. Die kognitive Überlastung, die sich auf diese Art tief in das kollektive Gedächtnis einschreibt bildet zentral die Erinnerungen von Gruppen aus und wirkt in mannigfaltiger Weise weiter.[ii] Jürgen Trabant sagt, dass der größte Teil von Wissen nicht aus der eigenen Welterfahrung bezogen wird, sondern dass es sich aus der Vermittlung durch Zeichen generiert.[iii] In diesem Zusammenhang spielen die kodierten und gespeicherten Zeichen, die wir über die Bildungsinstitutionen aufnehmen eine entscheidende Rolle, im Falle dieser Arbeit sind es zum einen die persischen Schriftzeichen, die verbunden mit den arabischen Zahlen die Brücke zwischen der „Sozialisationskultur“ und der aktuellen Lebenswelt schlagen.

 

  1. Der Hintergrund

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Es gibt zwei Ebenen des Begriffs „Hintergrund“, die sich in dieser Arbeit ineinander verschränken. Zum einen sind es die iranischen Wurzeln des Autors die über die persischen Schriftzeichen auf seine kulturelle Primärsozialisation und auf den Ort des Geschehens hinweisen. Gleichzeitig bilden die Namen auch den ornamentalen Hintergrund, die durch alle Ebenen durchscheint und hier auch eine ästhetische Funktion erfüllt. Der Autor der Arbeit ist bis zu seinem 22. Lebensjahr im Iran aufgewachsen und war selbst Opfer politischer Verfolgung. Aus diesen Beweggründen wurde es im Laufe der Zeit für den Künstler in seiner Aufarbeitung des Erlebten immer wichtiger nicht nur eigene traumatische Erlebnisse zu verarbeiten, sondern auch jenen ein Denkmal zu setzen, die für ihre politischen Ideale ihr Leben lassen mussten. Die früheren Arbeiten des Künstlers waren noch sehr viel enger mit einer Abbildung des Erlebten verbunden. Die so entstandenen Bilder des erlebten Grauens, die auf der emotionalen Ebene eine Auseinandersetzung mit dem Schrecken des Systems versuchten, waren sehr viel weniger formal reduziert. Erst in der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die künstlerische Umsetzung in eine komplexere Erinnerungsarbeit einzubetten, indem sie direkt auf die Namen und die Zahlen der Ermordeten verweist.

Erinnerungsarbeit in dieser Form ist im Kontext der iranischen Revolution ein Novum.

Es gibt keine dem Autor bekannten Arbeiten, die dies in ähnlicher Weise versucht haben. Wenn es eine künstlerische Auseinandersetzung gibt, dann findet sie auf einer sehr persönlichen Ebene statt, ohne den Versuch zu wagen, ein kollektives, kulturelles Gedächtnis mit aufzubauen.

 

Die früheren Bilder mit ihren sehr präsenten emotionalen Zugängen dienten zum Teil als Inspiration für die jetzt entstandene Serie, in der durch Vereinfachung und Verknüpfung mit den deskriptiven Elementen Schrift und Ziffer sowie dem ästhetischen und zeitlichen Bruch durch die Kinderzeichnung eine völlig andere Möglichkeit der Darstellung ausgelotet wird.

 

Die persischen Schriftzeichen bilden neben dem Verweis auf das Herkunftsland des Künstlers auch den geografischen und kulturellen Kontext des abgebildeten Geschehens. Die Bilder werden somit formal zu Denkmälern, auf denen eine Auflistung aller bekannten Namen der Opfer  ein zentrales Anliegen war. Diese Namen mussten erfasst und so auf den Leinwänden positioniert werden, dass jeder Buchstabe und jede Ziffer sichtbar bleibt.[iv] Zwar gab es wesentlich mehr Opfer politischer Verfolgung im Iran der 1980er Jahre als die namentlich erwähnten 15.459 Personen, allerdings wurden bis dato nicht mehr Menschen namentlich erfasst.IMG_4661

Die Fläche mit den Namen in persischen Schriftzeichen hat für den Betrachter anfangs eher eine ornamentale Funktion. Allerdings bemerkt man bei genauerem Hinsehen schnell, dass die Namen mit den arabischen Ziffern in Verbindung stehen und dadurch die Assoziation mit Personen und ihrem Alter, genauer gesagt mit dem Alter zum Todeszeitpunkt geweckt werden. Es fällt auf, dass die meisten der Personen zwischen 18 und 25 Jahre alt waren, das jüngste im Werk erwähnte Opfer ist 13 das älteste ist 65 Jahre alt. Die große Oberfläche mit den auf den Millimeter eingepassten Namen erzeugt beim Betrachter eine Betroffenheit, regt aber gleichzeitig die Phantasie an und lässt Bilder entstehen, indem man die Zwischenräume in Gedanken mit eigenen Bildern zu füllen beginnt.

 

  1. Die Figuren

 

Die Figuren sind Ausdruck der Emotionen und verkörpern in erster Linie den Aspekt des sozialen (oder kommunikativen) Gedächtnisses. Sie bleiben auf der Ebene der subjektiven Empfindung, die den Bildern einen wesentlichen Teil der Wirkung verleiht.

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„Bilder dienten vielmehr der Protokollierung der Projektionen von Prozessen, die sich in der inneren Struktur des wahrnehmenden Subjekts ereignen müssen. In der Darstellung dieser Innenwelt-Ansicht werden sie zu‚Monumentalisierungen‘ gerade der subjektiven Täuschung, die seit Platons Zeiten als das Verwerfliche in der Kunst galten.“[v]

 

Die auf den Werken dargestellten Körper sind sehr flächig gemalt, ohne viel perspektivische Tiefe. Sie stellen die Frage nach uns selbst, nach unserer Identität. Die Körper spiegeln in erster Linie Emotionen wieder. Affekte können zwar in normal logischen Begriffen analysiert werden, aber sie lassen sich in der wissenschaftlichen Terminologie nicht greifen. Erst der künstlerische Zugang macht sie erfahrbar.

Der Druck, der auf den Figuren lastet, wird für den Betrachter spürbar. Der Körper wird Ausdrucksmedium für Empfindungen und wird in dieser Form eingesetzt. Die Figuren sind in den Rahmen gepresst, der gleichzeitig die Grenze für die Namen der Ermordeten bildet. Ihre Leiber sind in Proportionen, Oberfläche oder Volumen weit von realen Körperwirklichkeiten entfernt. Real sind die Gefühle, die sich in den Körpern wiederspiegeln. Der soziale Kontakt der Figuren entsteht beim gemeinsamen Trauern um die Toten, ansonsten leben alle Figuren außer den Kindern und ihren Kontaktpersonen in der Isolation. Die Körper sind gebückt, die Köpfe sind eingezogen und die Augen geschlossen, um den Druck zu ertragen und nicht sehen zu müssen. Der Rahmen des Bildes verdichtet die Form der Figuren, verkürzt und verbreitert sie. Die Körper sind nackt und auf das wesentlichste reduziert. Die nackte Figur kann die Emotion am wenigsten verstecken, sie ist dem was ist vollkommen ausgesetzt und kann sich nicht entziehen. Eine Ausnahme hierbei bildet die Figur der schwangeren Frau. Sie wirkt so, als könnte sie den Rahmen sprengen, die rötliche Farbe des Blutes, das die Umrisse ihres Körpers färbt, deutet auf die Transformation hin, die durch neues Leben entstehen kann. Nicht nur das Leben, das geboren wird, birgt die Hoffnung, auch die Gebärende erlebt den Akt als eine Wiedergeburt, befindet sich aber gleichzeitig in einem Kampf, in dem sie versucht, das ihr eingeschriebene kollektive Gedächtnis, dargestellt durch die Namen im Hintergrund, zu transformieren. Der Tod der in sie eingeschriebenen Menschen muss gleichzeitig der Ort sein, an dem Verwandlung entstehen kann. Verdrängung hat keinen Platz, nur ein Sprengen des Systems kann Hoffnung bringen.

 

  1. Kinderzeichnungen

 

Die Kinderzeichnungen sind in ihrer Einfachheit in verschiedene Richtungen lesbar.557649_4441012123049_140316616_n

Sie stehen für die Ermordeten, die selbst einmal Kinder waren und eine naive Sicht auf die für sie noch als heil erlebte Welt hatten. Zum anderen verweisen sie auf das ausgelöschte Leben, das die ermordeten Menschen nicht mehr weitergeben konnten, da die meisten von ihnen sehr jung waren und noch keine Familien gegründet hatten. Eine Generation von politisch besonders engagierten Frauen und Männern wurde ausgelöscht und ihre potentiellen Nachkommen mit ihnen. Zum anderen wird durch die bunten Farben der Zeichnungen eine Lesart gerechtfertigt, in der diese Zeichnungen die Zukunft, das Weiterleben repräsentieren. Schließlich hatten diese Menschen das Ziel einer nächsten Generation von Kindern die Möglichkeit zu geben, wieder unbeschwert Kind sein zu können, einer Generation, die von der schwangeren Frau geboren wird. Die Kinderzeichnungen hauchen den Bildern ihre Lebendigkeit und Präsenz ein. Obwohl kräftige Farben dominieren, bleiben die Figuren der Zeichnungen transparent. Auch in sie bleibt die Geschichte der Ermordeten eingeschrieben, aber sie sind die erste Generation die zum Lächeln zurückfinden kann. In jeder Kinderzeichnung fehlt eine Generation, die in den durchscheinenden Namen der Toten präsent ist. In den Zeichnungen wird gespielt und gelacht, es gibt ein Haus in das man zurückkehren kann. Die Kinderzeichnungen konterkarieren die Tristesse und Düsternis und den Überlebenskampf der Figuren, sie tauchen als Symbole für die Transformation, für das Weiterleben und die Hoffnung auf.

Das sind die ersten Bilder des Künstlers, in denen Elemente der Hoffnung und der Freude in seiner langjährigen persönlichen Aufarbeitung und künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem Thema auftauchen.

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[i] Die Begriffe werden im Sinne der Begriffsdefinition von Jan Assmann verwendet. Siehe. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. In: Thomas Mann und Ägypten. C. H. Beck, München 2006, S. 70.

Das kulturelle Gedächtnis wird dabei geprägt von Texten, Bildern und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser Selbst- und Weltbild prägen. Das soziale oder kommunikative Gedächtnis ist hingegen auf die mündliche Überlieferung der vorangegangenen  Generationen begrenzt, nach Assmann auf ca. 80 Jahre. Es ist alltagsnah und gruppengebunden.

[ii] Vergl.: Arthur Kleinman, Veena Das, Margaret Lock, Introduction, S. IX-XXVII. In: Arthur Kleinman, Veena Das, Margaret Lock Hg.: Social Suffering. University of California Press. 1997

[iii] Jürgen Trabant, „Wissen als Handeln und die Vermittlung der Zeichen“ , Rechtshistorisches Journal 18, 1999, S. 268 zitiert nach Aleida Assmann, Soziales und kollektives Gedächtnis. http://www.bpb.de/files/0FW1JZ.pdf. 24.05.2009

[iv] Siehe : (http://www.komitedefa.org/)

[v] Peter Gerlach, Zeichenhafte Vermittlung von Innenwelt in konstruktivistischer Kunst. In: Holländer,

Hans und Thomsen, Christian W. (Hrsg.): Besichtigung der Moderne: Bildende Kunst, Architektur, Musik,

Literatur, Religion, Aspekte und Perspektiven. Köln (1987), S. 158

 

Literaturverzeichnis:

Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. In: Thomas Mann und Ägypten. C. H. Beck, München 2006

 

Peter Gerlach: Zeichenhafte Vermittlung von Innenwelt in konstruktivistischer Kunst. In: Hans Holländer und Christian W. Thompson (Hrsg.): Besichtigung der Moderne. Bildende Kunst, Architektur, Musik, Literatur, Religion, Aspekte und Perspektiven. Köln (1987)

 

Arthur Kleinman: Veena Das, Margaret Lock Hg.: Social Suffering. University of California Press. 1997

 

Jürgen Trabant: Wissen als Handeln und die Vermittlung der Zeichen. Rechtshistorisches Journal 18, 1999

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