Schmetterling, Homayon Iwani

Schmetterling
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Gewiss ist es unmöglich jahrelange Gefängnishaft und Folter in einer so kurzen Zeit darzulegen. Allein um die Psyche unserer Folterknechte zu verstehen, bedarf es eines mehrtägigen Seminars.

Jede Sekunde im Gefängnis ist unerträglich. Abgeschnitten zu sein vom natürlichen Leben, auf das du ein Recht hast; Trennung von den Angehörigen, die du liebst; dass du die dir vertraute Natur nicht mehr wahrnehmen kannst – all das ist schrecklich bedrückend. Auf einmal vermisst du den sonst so lästigen Straßenlärm und den Staub und Smog deiner Heimatstadt. Ein junger Mensch, der nach Leben dürstet, sieht sich auf einem Schlag in den vier Wänden einer engen Zelle eingeschlossen. Das sind so allgemein die Leiden aller Gefangenen. Dazu kommen die körperlichen und seelischen Qualen der Folter.

Unter dem Schah-Regime wurden die politischen Gefangenen oft zu Tode gefoltert. Die Folterknechte waren Angestellte, die ihren verbrecherischen Job gegen Bezahlung ausübten.

Unter dem islamischen Regime ist die Folter durch die „Fetwa“, ein auf den Bestimmungen des Scheriats basierendes Urteil, sanktioniert. 1988 sprach der islamisch-religiöse Führer Khomeini eine Fetwa aus: Kein „Abtrünniger und Kämpfer gegen den Gottesstaat“ durfte demnach das Gefängnis lebend verlassen. Eine Vielzahl politischer Gefangener wurde daraufhin hingerichtet. Folter ist nach den islamischen Geistlichen Führern im Islam verboten. Gestattet ist jedoch die Erziehung der „Irregeleiteten“ unter Zuhilfenahme von Druckmitteln, sprich Folterwerkzeugen. Wer sich also weigert die göttliche Erleuchtung zu empfangen ist selbst schuld, wenn er an den Folgen dieser Weigerung zu Grunde geht.

Der islamische Folterknecht hat im Gegensatz zu seinen Kollegen, z.B. denen des Schah-Regimes, ein Sendungsbewusstsein. Er säubert die Welt von Ungläubigen, die die Gotteserde besudeln. Viele von ihnen nehmen ein rituelles Bad, bevor sie vor Gottes Angesicht ans Werk gehen.

Es war gegen 16 Januar 1983, als ich gegen 15 Uhr auf der Straße unter dem Vorwand des Rauschgifthandels verhaftet wurde. Die ‘Pasdaran‘, die sogenannten Revolutionswächter, hatten vorher einen Gesinnungsfreund unter der Folter gezwungen, unseren Treffpunkt preiszugeben. Sie brachten ihn auch zu meiner Verhaftung mit. Ich habe ihn gesehen. Ich habe gesehen, wie er zusammengebrochen ist und zutiefst beschämt war, dass er den Torturen seiner Peiniger nicht bis zum Ende widerstehen konnte.

Sie warfen mich ins Auto und rissen sofort meinen Mund auf, um nach einer Zyankalitablette zu suchen. Dann legten sie mir Handschellen an und begannen, mich unter Fausthieben zu befragen. Über Namen und Adressen meiner Genossen, Ort und Zeit unserer Verabredungen, technische und finanzielle Ausstattung der Organisation. Im Gefängnis führte man mich sofort in die Klinik, um sich zu vergewissern, dass ich nicht in Selbstmordabsicht eine Tablette genommen hatte. Danach wurde ich sofort in die Folterkammer gebracht. Die erste Ohrfeige verursachte ein fürchterliches Geräusch in meinem Kopf. Dann legten sie mich auf die Folterbank, fesselten Hände und Füße und schlugen unaufhörlich mit einem starken Kabel auf meine Fußsohlen. Eine Zeitlang verlor ich das Bewusstsein. Auch mein Zeitsinn ließ mich im Stich. Die Uhr hatten sie mir schon vorher abgenommen. Als die Empfindlichkeit meiner Füße nachließ, banden sie mich los und bildeten einen Kreis um mich. Sie schlugen nun mit Fäusten und traten mit Füßen, prügelten mit Holzstock und Kabel auf mich ein, so dass ich von einem zum anderen geschleudert wurde.

Ich konnte trotz Augenbinde sieben bärtige Männer zwischen 25 und 35 Jahre zählen. Sie banden mich erneut auf die Folterbank und schlugen noch kräftiger gegen meine wunden Sohlen. Bis zum Morgengrauen wurde dieses Programm mehrere Male im Wechsel wiederholt. Danach hat man mich an das Eisengitter vor dem Fenster der Folterkammer gefesselt. Da ich die Füße wegen unerträglicher Schmerzen nicht auf den Boden setzen konnte, musste ich mein Körpergewicht hängend tragen. Nach einiger Zeit band mich ein Pasdar vom Fenstergitter los, warf mich zu Boden und fesselte mich an ein Tischbein.

Ich hatte Fieber und fror zugleich. Nach einer Weile kam wieder ein Verhörer zu mir und versuchte mich mit sanft-freundlicher Stimme zu gewinnen. Er sagte: „Warum quälst du dich so sehr, um unsere Fragen nicht zu beantworten? Arbeite mit uns zusammen, und du bist frei.“ Dann fragte er mich: „Soll ich jemanden aus der Führung eurer Organisation herbringen damit er mit dir spricht?“ Ich antwortete: „Nein“. Ich wusste wer gemeint war. Während seiner Haft hatte er seinen Widerstand aufgegeben und die Zusammenarbeit mit der Polizei akzeptiert. Durch diese „Zusammenarbeit“ wurden viele Führungsmitglieder verhaftet und hingerichtet. Sechzehn von ihnen kenne ich namentlich. Später wurde er selbst auch hingerichtet.

Am nächsten Morgen wurde das Programm vom Vortag fortgesetzt. Gegen Mittag wurde mein Geschrei leiser. Ich war der Bewusstlosigkeit nahe. Man ließ eine Weile von mir ab. Irgendwann aber schlug mir der Befragter ins Gesicht, so dass ich wieder zu Bewusstsein kam. Er schrie: „Seit zwei Tagen liegst Du bewusstlos hier, sage mir, welche Verabredungen hast Du verpasst?“ Ich antwortete: „Ich hatte keine Verabredungen.“ Das war eine ihrer Methoden, mit der sie manchmal wichtige Informationen bekamen. Das bis zur Bewusstlosigkeit gefolterte Opfer verliert den Zeitsinn und neigt dann dazu, wichtige Informationen als nicht mehr aktuell preiszugeben.

Nach drei Wochen Verhör und Folter wurde ich in Einzelhaft gebracht. Sie steckten mich in eine 1,80 x 2,80 Meter Zelle mit Waschbecken und Klo im neugebauten Gefängnis von Gohardascht. Es herrschte Grabesstille. Ohne Zeitung oder ein Buch verbrachte ich insgesamt 10 Monate und 10 Tage in solchen Zellen. Auf diese Weise sollte der sich nicht fügende Gefangene physisch und psychisch zermürbt werden.

Während der Zeit in Einzelhaft ließen meine Sehkraft und mein Konzentrationsvermögen nach. Meine Gelenke begannen zu schmerzen, meine Wirbelsäule wurde geschädigt, meine Zähne fingen an zu bröseln, da ich keine Sonne bekam.

Der psychische Druck der Isolation hat schon manchen in den Wahnsinn getrieben. In einigen Fällen gaben die Gefangenen ihre bis dahin gehüteten Geheimnisse preis, in der Hoffnung rascher hingerichtet zu werden. Später habe ich im Gefängnis Ghezelhessar einen Mann kennen gelernt, der sofort depressiv wurde, wenn das Wort Gohardascht fiel, wo er in Einzelhaft gewesen war. Er kauerte stundenlang da, mit dem Gesicht zur Wand und sprach kein Wort.

Jede Minute, jede Stunde in Einzelhaft vergeht langsam und schmerzhaft, insbesondere wenn ein Verhör bevorsteht. Die Wände sind weiß, ohne Ecken oder Vorsprünge. Nichts ist da, mit dem du deine Sinne beschäftigen könntest. Ich hatte nicht einen persönlichen Gegenstand für mich. Eines Tages jedoch verirrte sich ein Schmetterling durch ein kleines Loch in der Decke. Er brachte gelbe, orange und rote Farben in meine Zelle. Er kam immer wieder, saß lange dort oben an der Wand. Er fand die Ruhe dort angenehm. Er war ja freiwillig gekommen. Durch ihn konnte ich meine Gedanken hinaus schicken, ins Sonnenlicht, in die Freiheit. Kein Gefängniswärter konnte ihn mir wegnehmen. So haben wir beide einen Sieg über die Folterknechte errungen.

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Bild von: From Wikimedia Commons, the free media repository, File:Cethosia cyane.jpg, http://images.google.de/imgres?imgurl=https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ea/Cethosia_cyane.jpg&imgrefurl=https://de.wikipedia.org/wiki/Schmetterlinge&h=1125&w=1600&tbnid=Xrjc-aGbWmt4sM:&tbnh=140&tbnw=200&docid=Fz0cFENjxUWMDM&itg=1&client=firefox-b-ab&usg=__g9LJyaaXi4cWvpnMf3WRenxyfrE=

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